Persönlichkeitsstörungen

Persönlichkeitsstörungen werden von Betroffenen wie auch Fachleuten meiner Meinung nach sehr häufig falsch verstanden. Sie gelten als sehr schwierig, wenn überhaupt therapierbar. Und schon der Begriff „Persönlichkeitsstörung“ klingt, als ob man eine völlige „Unperson“ ist. Noch dazu wird er manchmal selbst von Therapeuten so verwendet und eine derartige Diagnose fast wie eine Strafe vergeben. Wer dem Oberarzt in der Klinik einmal zu oft widerspricht, egal ob zu recht oder nicht, „fängt“ sich schnell mal eine Borderline- oder narzisstische Persönlichkeitsstörung ein und schleppt diese dann mit sich herum wie ein Label.

Um etwas genauer zu verstehen, was eine Persönlichkeitsstörung ist, sollten wir uns mit deren Entstehung beschäftigen. Die lerntheoretische Sicht auf die Entstehung einer Persönlichkeitsstörung geht davon aus, dass sie als Anpassung an ungünstige Entwicklungsbedingungen in der Kindheit entsteht. Menschen müssen in ihrer frühkindlichen Entwicklung sicherstellen, dass sie Anerkennung und Zuwendung von den Eltern (oder sonstigen Bezugspersonen) erfahren. Manchmal ist es dafür aber notwendig, ein ganz bestimmtes Verhalten zu zeigen oder eben in einer bestimmten Art und Weise zu sein. Vielleicht darf man nie eine eigene Meinung vertreten und wird gezwungen, sich den Eltern widerspruchslos anzupassen oder wird man als Mädchen immer dann besonders gemocht, wenn man kokett und liebreizend auftritt. Oder egal was man tut und fordert, man bekommt alles sofort auf dem Silbertablett serviert und gilt immer und überall als der Beste und Tollste. Dann beginnt man, sich immer mehr in genau dieser Art und Weise zu verhalten, weil es ja von einem verlangt wird und man so auch eine Idee bekommt, wo der eigene Platz in der Welt (der Familie) ist. Dann beginnt man, sein Selbstbild auf dieses Verhalten zu gründen und kann zunehmend auch keine Erfahrungen mit anderen Verhaltensmöglichkeiten mehr machen, die man dann auch nicht in sein Repertoire übernimmt. Noch schlimmer wird es, wenn, egal was man tut, immer nur auf Ablehnung trifft und nur alles falsch machen kann. Dann kann man nur noch versuchen, wenigstens zu über-leben! In jedem Fall aber haben wir es mit einem aktiven Anpassungsprozess an die vorgefundenen Bedingungen zu tun!

Wenn Sie sich einmal vorstellen wollen wie sich eine Kiefer an der Küste entwickelt, werden Sie feststellen, dass diese sich auch anpassen. Sie werden zu „Windflüchtern“, also krumm vom starken Wind. An der Küste sehen diese Bäume ganz normal aus, aber wenn man sie einige Kilometer weiter nach Süden versetzt, in einen dort „normalen“ Wald mit geraden Bäumen, passen sie plötzlich nicht mehr ins Bild. Dann hat so ein Baum eine Persönlichkeitsstörung.

Ganz ähnlich zeigen sich diese Persönlichkeitsstörungen bei uns Menschen auch erst, wenn wir die Umgebung, an die wir ins angepasst haben, verlassen. Dann fällt auf, dass wir nur so sein können, wie wir gelernt haben zu sein. Und dann beginnt man eventuell, darunter zu leiden oder andere leiden unter einem, weil man so ist wie man ist. Dann haben wir es mit einer Persönlichkeitsstörung zu tun.

Persönlichkeitsstörungen stellen durchaus hohe Anforderungen an die therapeutische Arbeit, denn die Gestaltung der Beziehung mit solch einem Menschen ist schwieriger, aufgrund seiner Vorerfahrungen und auch der eigenen Päckchen, die man als Therapeut ja auch mit sich trägt. Dennoch sind Persönlichkeitsstörungen erfolgreich behandelbar. Die therapeutische Beziehung ist hier aus meiner Sicht ganz besonders wichtig, denn in diesem Rahmen soll ein Mensch sich ausprobieren und dann neue Erfahrungen mit neuen Verhaltensweisen machen können, die sein Repertoire an Verhaltensweisen erweitern und dann mit der Zeit ihrerseits wieder Eingang in die Persönlichkeit finden. So ein Prozess dauert natürlich – oft Jahre. Aber er ist möglich!

Überaus hilfreich ist es dafür, mit genau diesem Menschenbild in die therapeutische Arbeit zu gehen, dass nämlich ein Patient diese Art zu sein entwickeln musste, um in seiner Entwicklungsumgebung das zu bekommen was er brauchte bzw. wenigstens zu vermeiden, was ihm nicht gut tat. Wie gesagt, manchmal schafft man nicht mal das. Auf jeden Fall aber haben wir es mit einem sich aktiv anpassenden Menschen zu tun. Und das wird er dann weiterhin tun: sich aktiv anpassen. Auch in der Therapie.